Die Digitalisierung hat in vielen Bereichen bereits Einzug gehalten, und auch Justizbehörden stehen durch das BEKJ vor der Herausforderung, ihre Prozesse zu modernisieren. Der Sprung von einer papierbasierten hin zu einer digitalen Arbeitsweise erfordert mehr als nur die Einführung neuer Softwarelösungen. In unserem letzten Beitrag hat @Olivia Reinermann beschrieben, welchen Anforderungen eine moderne Geschäftsverwaltung für Justizbehörden genügen muss. Heute geht es darum, wie eine solche Idee in die Praxis umgesetzt werden kann, welche Rahmenbedingungen wichtig sind – und warum der passende Technologie-Partner ein entscheidender Erfolgsfaktor ist.
Viele Puzzleteile, die zum Erfolg führen
Um eine neue Geschäftsverwaltung erfolgreich einzukaufen und einzuführen, braucht es mehr als nur den passenden Anbieter. Es braucht eine durchdachte Beschaffungsstrategie und ein Umfeld, das Veränderung zulässt. Die Fragen, die sich zu Beginn stellen, sind vielfältig:
- Wie risikofreudig ist die Direktion?
Das Risiko für einen Erfolg oder Misserfolg trägt die Direktion. Entsprechend wichtig ist es, diese in die Entscheidfindung zur Projekt- und Beschaffungsstrategie passend einzubinden. Das richtige Mass an Kompetenzdelegation an die Projektleitung in diesem Spezialgebiet kann ein Schlüsselfaktor für das Gelingen sein. Mikromanagement ist hier fehl am Platz. - Wie stark stehen die Führungspersonen hinter dem Vorhaben?
Erst wenn Entscheide auf Führungsebene nicht nur getroffen, sondern wirklich mitgetragen werden, kann das Veränderungsmanagement erfolgreich starten. - Welche Auswahl gibt es überhaupt?
Wenn es auf dem Markt keine passenden Produkte gibt, ist Kreativität angesagt. Statt eines bereits existierenden Produkts kann auch auf eine Individuallösung gesetzt werden, die auf erprobten Plattformen funktioniert. Das ist nicht zu verwechseln mit «Marke Eigenbau», wie es in den Nullerjahren oft der Fall war. - Ist eine schnelle Umsetzung von kleineren Anwendungsfällen möglich?
Kleine, greifbare Pilotprojekte können zeigen, ob ein Anbieter und die geplante Lösung wirklich in der Praxis funktionieren. Das schafft Vertrauen bei den Anwendern und hilft, den weiteren Prozess zu steuern. Praktisch ist es, wenn die Anwendungsfälle direkt ein bekanntes Problem lösen oder nadelstichartig zentrale Anforderungen auf Herz und Nieren prüfen können. - Wie geht die Organisation mit Misserfolgen um?
Die Einführung einer neuen Geschäftsverwaltung ist erfolgskritisch. Ideal ist deshalb eine gut trainierte Organisation, welche bei kleineren Vorhaben geübt hat, mit Veränderungen umzugehen und technologische Hilfsmittel einzuführen. Ein Teil dieser Erfahrung wird in (vermeintlichen) Misserfolgen enden. Denn von zehn Projektideen landen durchschnittlich neun auf dem «Projektfriedhof». Es braucht deshalb genug Atem in den Behörden, statt einen «Projektfriedhof» lieber eine «Erkenntnis-Oase» aufzubauen. Mit einer guten Balance zwischen starker Planung aller Entwicklungsarbeiten und agilem, anpassungsfähigem Projektmanagement kann dies gelingen und ermöglichen, dass die Beteiligten ihre Motivation aufrechterhalten, ihre Vision weiterverfolgen und die verfügbaren Finanzmittel wirksam eingesetzt werden.
Beschaffungsstrategie: Papierbasiert oder Dialog?
Die Reise zu einer digitalen und benutzerfreundlichen Arbeitsumgebung ist für Justizbehörden kein Spaziergang. Sie erfordert nicht nur die Auswahl der richtigen Technologie, sondern auch die richtige Strategie bei der Beschaffung. Und hier gibt es zwei grundlegende Ansätze:
- Papierbasierte Ausschreibungen: Diese Verfahren sind administrativ aufwändig, dafür eingespielt und im Kontext von Standardprodukten ein effizienter Weg. Das offene Verfahren, bei dem alle interessierten Anbieter ein Angebot einreichen, dauert in der Regel etwa acht Monate. Es eignet sich besonders, wenn die Anforderungen an die Lösung klar und spezifisch sind. Was beispielsweise bei der Büroautomation mit Microsoft 365 vorhanden ist, fehlt bei fachspezifischen Geschäftsverwaltungssystemen oft.
- Dialogverfahren: Diese Methode ist komplexer, aber in vielen Fällen lohnenswert. Sie beginnt mit der Auswahl potenzieller Anbieter durch ein selektives Verfahren.
Die besten Anbieter werden dann zu einem strukturierten Dialog eingeladen. Hierbei wird gemeinsam erörtert, wie die spezifischen Bedürfnisse der Behörde bestmöglich erfüllt werden können. Diese Phase ist länger – oft dauert sie ein Jahr. Dabei müssen einige Anforderungen ebenfalls eingegeben werden, andere können aber während der späteren Projektierung detailliert oder gemeinsam ausgearbeitet werden.
Welcher Ansatz führt oft zu besseren Ergebnissen? Während des Dialogs wird nicht nur eine fachliche Prüfung ermöglicht, sondern es zeigt sich auch, ob die Zusammenarbeit mit dem Technologiepartner im Alltag funktioniert. Die Worte auf den eingereichten Unterlagen können anhand von Taten überprüft werden. Dies liefert die Antwort auf die Frage: Ist das alles nur eine «Hochglanzbroschüre» oder kann der Anbieter wirklich einhalten, was er verspricht? Ein (technischer) «Proof of Concept», das in dieser Phase entwickelt wird, bietet zudem die Chance, die Qualität der Lösung und die Zusammenarbeit real zu erproben und live mitzuerleben, wie die Anbieter agieren und reagieren.
Dialogverfahren: Mehr als nur eine Ausschreibung
Das Dialogverfahren ist besonders für komplexe Projekte geeignet, bei denen die Anforderungen zu Beginn noch nicht ganz klar sind. Der Dialog selbst läuft aber hochgradig strukturiert ab, denn die am Schluss eingereichten Angebote von den Anbietern müssen vergleichbar sein. Durch einen strukturierten Austausch und Workshops können Anbieter in die Anforderungserhebung einbezogen werden. So wird nicht nur geprüft, wer das günstigste Angebot einreicht, sondern auch, ob der Anbieter zur Organisation, zum Projektteam und zu den spezifischen Bedürfnissen der Behörde passt und eine gemeinsame Vision verfolgt. Die Entscheidung für ein Dialogverfahren bedeutet zwar eine längere Beschaffungsphase, etwa vier Monate mehr als beim papierbasierten Verfahren, doch die Investition lohnt sich. Denn schon während der Ausschreibung wächst das Verständnis füreinander, und potenzielle Probleme lassen sich frühzeitig erkennen und lösen. In Extremfällen kann der Prozess sogar abgebrochen werden. Diese Erkenntnis folgt bei papierbasierten Ausschreibungen erst nach dem Projektstart. Mehrere grössere Behörden der Strafverfolgung haben den Weg des Dialogverfahrens bereits eingeschlagen und positive Erfahrungen gemacht: Siehe z.B. das Interview mit Heiko Faller (Geschäftsleitungsmitglied von Ergon) über das Dialogverfahren mit der Bundesanwaltschaft oder das Referat von Abraxas und der KaPo St. Gallen über erfolgreiche Ausschreibungsverfahren am SPIK 2024.
Fokus auf den richtigen Partner – nicht nur auf den Preis
Ein wichtiger Aspekt der Beschaffung ist, dass es nicht allein um den Preis geht. Wirtschaftlichkeit muss die Gesamtsituation beinhalten, inklusive der Zusammenarbeit mit den kantonalen IKT-Ämtern in der Betriebsphase. Studien und Erfahrungen zeigen, dass die günstigsten Angebote oft nicht die preiswertesten sind. Mittelmässige Software-Entwickler sind im Vergleich zu sehr guten Software-Entwickler klar im Vorteil, wenn es um die Leistungsfähigkeit geht. Ein höherer Stundensatz kann aber erstmal abschreckend wirken. Es geht deshalb darum, einen Partner zu finden, der durch Expertise, Innovation und eine gemeinsame Vision überzeugt. Ziel ist es, gemeinsam eine Lösung zu entwickeln und sich flexibel an neue Erkenntnisse anzupassen. Natürlich gibt die Behörde das Zielbild vor, aber nicht alles ist technisch sinnvoll möglich oder nur unter grossen Aufwänden. Der Mitteleinsatz muss während der Projektierung gemeinsam und in iterativen Schritten abgestimmt werden. In diesem «Seilziehen» braucht es Vertrauen und Verständnis, denn die Behörde will ja die beste Lösung für seine Mitarbeitenden erreichen.
In der Praxis bedeutet das folgendes: Die Ausschreibung wird so gestaltet, dass der Anbieter nicht nur seine technischen Fähigkeiten, sondern auch seine Anpassungsfähigkeit und Teamfähigkeit unter Beweis stellen soll. Ein schönes Beispiel dafür ist die Durchführung von Assessments, bei denen die tatsächliche Zusammenarbeit des Anbieterteams beobachtet werden kann.
Kollaboration und Wissenstransfer
Was denken Sie: Sind die Ergebnisse eines solchen Dialogs nur für eine einzelne Justizbehörde wertvoll? In einer Zeit, in der Kooperationen über Institutionen hinweg immer wichtiger werden, ist es sinnvoll, die gesammelten Erfahrungen und entwickelten Lösungen auch anderen zugänglich zu machen. Das wird möglich, wenn dazu im ausgehandelten Vertrag klar Stellung bezogen wird. Die Zeiten, in denen das geistige Eigentum den Softwareherstellern gehörte, sind lange vorbei. So können Behörden Lösungen und Erfahrungen schweizweit untereinander gegenseitig zur Verfügung stellen. Eine Kooperation könnte etwa die Entwicklung eines gemeinsamen Moduls für die digitale Aktenführung umfassen, das dann von verschiedenen Behörden genutzt und weiterentwickelt wird. So können alle Beteiligten von den Erfahrungen profitieren und gemeinsam Innovationen vorantreiben. Natürlich müssen die Abgeltung und die Situation rund um den Betrieb sauber gelöst werden. Ein Alleingang von allen Kantonen und vom Bund wird von keiner Stelle angestrebt. Ganz im Gegenteil: Allianzbildungen können wertvoll sein und win-win-Situationen ermöglichen.
Ausblick: Die digitale Zukunft gestalten
Am Ende geht es nicht nur darum, ein Projekt erfolgreich abzuschliessen. Es geht darum, eine digitale Zukunft zu gestalten, die den Anforderungen der heutigen Zeit gerecht wird. Gleichzeitig braucht es Raum für die Entwicklungen von morgen, damit die Leistungen der Behörden mit den passenden technologischen Hilfsmitteln optimal erbracht werden können.
Der Weg zu einer modernen Geschäftsverwaltung ist ein Prozess, der sowohl technische als auch kulturelle Herausforderungen mit sich bringt. Es erfordert Mut, von traditionellen Beschaffungsstrategien abzuweichen und auf Dialog und Partnerschaft zu setzen. Aber gerade in einer Welt, in der sich Anforderungen und Technologien schnell ändern, könnte dies der Schlüssel zu einer erfolgreichen und zukunftsfähigen Justiz sein.
Wir laden Sie als Justizbehörde ein, sich Gedanken über Ihre eigene Situation zu machen: Wo stehen Sie auf der Reise in die Digitalisierung? Welche Herausforderungen sehen Sie, und welche Chancen könnten Sie nutzen?
Und wenn Sie mehr zu diesem Thema wissen wollen, freue ich mich auf einen Austausch mit Ihnen – gerne auch in einem ersten, unverbindlichen Dialog. Denn manchmal beginnt die beste Lösung mit einem einfachen Gespräch.