In Zeiten, in denen die Digitalisierung in vielen Sektoren bereits Meilensteine gesetzt hat, zeigt sich bei den Justizbehörden ein anderes Bild. Der Umgang mit der physischen Akte als "Leitakte" und der Einsatz technologisch in die Jahre gekommener Geschäftsverwaltungssysteme könnte eine gewisse Trägheit gegenüber digitalen Innovationen widerspiegeln. Was, wenn aber die Rahmenbedingungen alles andere als ideal sind, um vorwärts schreiten zu können?
Mit dem Gesetz BEKJ kommt unweigerlich Bewegung in die bestehenden Strukturen, da ab 2025 der elektronische Rechtsverkehr und die elektronische Akteneinsicht verpflichtend werden. Diese Entwicklung bringt nicht nur einen sanften Druck mit sich, sondern auch die dringende Notwendigkeit, traditionelle Arbeitsweisen zu überdenken. In den Abläufen sind jeweils verschiedene Behörden miteinander "verkettet", sodass sich Veränderungen immer behördenübergreifend auswirken. Was beim einen Mitglied dieser "Kette" zum Mehrwert führt, kann beim anderen Mitglied zur grossen Belastung führen.
Die Digitalisierung der Justiz ist deshalb keine triviale Angelegenheit, sondern eine Herkules-Aufgabe. Zahlreiche Arbeitsabläufe müssen nicht nur angepasst, sondern grundlegend überdacht werden. Dafür versprechen sie eine grosse Arbeitserleichterung und steigern die Effizienz. Ein Beispiel, das den Mehrwert echter Digitalisierung unterstreicht, ist der Einsatz von intelligenten Dokumentenmanagement-Systemen (DMS). Diese Systeme können nicht nur die elektronische Paginierung vereinfachen, sondern auch durch Features wie Volltextsuche und automatisierte Stichwortzuweisung den Zugriff und die Verwaltung von Akten revolutionieren. Ein weiteres Beispiel ist der Umgang mit physischen Originaldokumenten. Durch innovative Scantechnologien und die Einführung rechtssicherer elektronischer Signaturen könnten diese in ein digitales Format überführt werden, das die Integrität des Originals gewährleistet und gleichzeitig den Arbeitsablauf – die digitale Aktenführung - beschleunigt.
Neben der digitalen Aktenführung und dem elektronischen Rechtsverkehr (z.B. via der Justitia.Swiss Plattform) legen wir in unserem Beratungsansatz großen Wert darauf, dass die Datenarchitektur entflochten wird. Im Kern und Mittelpunkt steht der Umgang mit den Daten. Darauf kann ein modulares Informationsmanagement-System als Grundlage für eine intelligente Informationsnutzung aufgebaut werden. Anstatt sich auf einen einzigen, unflexiblen Monolithen zu verlassen, sollten Behörden sich dahingehend entwickeln, dass sie spezialisierte Software nach Bedarf integrieren können – beispielsweise Anwendungen für die Schwärzung vertraulicher Informationen oder für Ermittlungen in großen sichergestellten Datenmengen. Diese Modularität erleichtert die fortlaufende Aktualisierung und Erweiterung des Systems und fördert eine agile Entwicklungskultur. Eine solche Veränderung bedeutet für die Behörden deshalb auch ein neuer Fokus bezüglich ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: es braucht neue Kompetenzen und Funktionsprofile, die interdisziplinär in den Strukturen arbeiten, damit diese Potenziale voll ausgeschöpft werden können.
Wenn es darum geht, neue technische Möglichkeiten auszuschöpfen, stossen heute eingesetzte Fachsysteme/Geschäftsverwaltungen an ihre Grenzen. Gerade was die intelligente Datenbearbeitung anbelangt, das Management und die Vergabe von Metadaten, Zusammenarbeitsmechanismen («Collaboration und Workflows») oder eine benutzerfreundliche, einfache Nachvollziehbarkeit der Arbeitsschritte («Journal / Historie»), ist das Optimierungspotential gross. Ein bisschen weiter gedacht müsste es doch möglich sein, die Inhalte einer digitale Akte wie im Internet mit Links zu versehen, um in Verfügungen oder Anklageschriften direkt auf die Originalunterlagen verweisen zu können. Statt lange durch physische Ordner im Schrank zu suchen ist ein "Klick" nötig, um die ursprüngliche Information zu sichten.
Es gibt zwar etablierte Fachapplikationen für Justizbehörden. Diese waren aber auf die physische Aktenführung ausgerichtet. Mit der kompletten Umstellung in die digitale Welt fragt sich: Können dieselben Anbieter noch mithalten, wenn es um die Befriedigung der Ansprüche digitaler Arbeitsweisen geht? Diese Frage wird sich in den künftigen Beschaffungen der Kantone klären, denn nicht nur die digitale Aktenführung, sondern ganz grundsätzlich ein intuitives, modernes Arbeitsmittel mit ansprechenden Benutzeroberflächen ist gefragt, das den Anwendern Freude bereitet, weil es einfach und leicht zu bedienen ist.
Das Festhalten am Grundsatz, auf dem Markt verfügbare Standardanwendungen einer maßgeschneiderten Lösung vorzuziehen (aufgrund niedrigerer Kosten, Wartungs- und Betriebsaufwände), könnte in diesem Fall das Potential der echten Digitalisierung nicht vollständig ausschöpfen. Die Digitalisierung wird viele Ideen erst entstehen lassen und Möglichkeiten für Vereinfachung aufzeigen. Diesen Spielraum innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen mit dem heutigen Beschaffungsrecht auszunutzen ist die wahre Kunst. Darum kann man sich die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, wenn 26 Kantone und die entsprechenden Justizbehörden individuelle Lösungen beschaffen? Die Frage stellt sich eher: Wo treffen sich ihre Wege und wo können Synergien entstehen?
Justizbehörden stehen vor einer entscheidenden Reise. Insbesondere den Pionieren unter ihnen empfehlen wir eine sorgfältige Reiseplanung, um Enttäuschungen, Umwege und Sackgassen auf dem Weg in die digitale Aktenführung und zur modernen, modularen Geschäftsverwaltung zu vermeiden.
In unserem nächsten Blog-Infoletter erörtern wir, wie diese Reisevorbereitung aussehen kann respektive welche Beschaffungsstrategien angewendet werden können.